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DO UT DES ?

präsentiert beim Markt der Möglichkeiten auf dem OPEN OHR Festival 2011: Rien ne va plus – Nichts geht mehr

Die lateinische Redewendung "Do ut des" stellt die Kurzform eines Rechtsgrundsatzes dar, der in Paragraph 320 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) unter dem Titel "Einrede des nicht erfüllten Vertrags" niedergelegt ist:

Wer aus einem gegenseitigen Vertrag verpflichtet ist, kann die ihm obliegende Leistung bis zur Bewirkung der Gegenleistung verweigern (...)

Diese Rechtsformel stammt aus den Pandekten des "Corpus Iuris Civilis" (D. 19, 5,5,378), der 533 n. Chr. von Justinian I. in Konstantinopel als Gesetzbuch erlassen wurde, einem Vorläufer des BGB also, und geht ursprünglich auf Ulpian (170 – 228 n. Chr.) zurück. Auf diesem alten Grundsatz beruht auch die vielleicht etwas bekanntere Formulierung, wie man sie auf Rechnungen größerer Waren findet:

Bis zur vollständigen Bezahlung bleibt die gelieferte Ware unser Eigentum.

Allerdings geht die lateinische Formulierung viel weiter. Übersetzt bedeutet "Do ut des" nämlich:

Ich gebe (dir etwas), auf dass du (mir etwas zurück) gebest.

In unserem alltäglichen Wirtschaftshandeln haben wir uns daran gewöhnt, dass wir eine Ware im Geschäft erst einmal bezahlen müssen, bevor wir sie mitnehmen können bzw. dürfen. Das erscheint uns völlig normal. Da mit dem Bezahlvorgang an der Kasse ein gegenseitiger Kaufvertrag zustande kommt, unterliegt auch das ganz normale Bezahlen dem antiken Rechtsgrundsatz "Do ut des".

Ein Teil der Normalität rührt daher, dass wir als neutrales Tauschmittel das Geld verwenden. Es tritt nur als Quantität auf (von der die Mehrheit der Bevölkerung Mengen im Überfluss besitzt). Wenn wir davon etwas hergeben, um eine bestimmte Ware in unser Eigentum zu überführen, besitzen wir hinterher immer noch Geld – nur etwas weniger. Die exklusive Singularform des Geldes führt uns in die Irre.

Sichtbar wird das "Do ut des"-Prinzip oft, wenn man seinen Mitmenschen zur Optimierung des Wirtschaftssystems vorschlägt, das Tauschmittel Geld abzuschaffen. Statt die daraus resultierende Schenkökonomie zu diskutieren, ist dann oft der – gar nicht zum Vorschlag passende – Einwand zu vernehmen, dass es, wenn man das Geld abschaffte, doch (wieder) furchtbar kompliziert mit dem Tauschen werden würde. Welches Tauschen? fragt man. Na, man müsse doch jemanden finden, der die passende Ware zum Tausch anbietet, mit einer denjenigen interessierenden Ware in die Verhandlung eintreten und mit der vereinbarten Quantität in Vorleistung treten, falls man mit dieser Ware entweder die Bedürfnisse des Tauschpartners direkt befriedigt oder er jemanden kennt, mit dem er zur Inbesitznahme der von ihm eigentlich gewünschten Ware über Eck tauschen könnte.

Offenbar haben wir das "Do ut des"-Prinzip so verinnerlicht, dass wir nicht davon ablassen können, bevor wir nicht expressis verbis dazu aufgefordert werden. Dabei steht im Kern der Idee von der Abschaffung des Geldes eben nicht nur die Abschaffung des Tauschmittels an sich, sondern die Abschaffung allen Tauschens!

Warum macht dies das Wirtschaften besser? Ein Indiz ist die Erfahrung von Tauschringen (die ohne Geld, aber unter Anwendung des "Do ut des"-Prinzips verfahren), dass ihre Mitglieder ihre Talente, also die je viertelstündliche Inanspruchnahme ihrer speziellen Fähigkeiten und Arbeitskraft, zwar gerne anbieten, aber nur sehr zurückhaltend die Talente der anderen in Anspruch nehmen. Da Geld schon außen vor bleibt, ist die Irritation der Singularform von Geld offenbar nicht ausschlaggebend.

Schauen wir uns das "Do ut des"-Prinzip daher noch einmal aus der Nähe an:

Ich gebe (dir etwas), auf dass du (mir etwas zurück) gebest.

Die Person, um die es hier modellhaft geht ("Ich"), hat ein materielles Bedürfnis. Stillen kann sie es aber nur, wenn sie dem Besitzer einer ihrer Bedürfnisbefriedigung dienenden Sache mit einer äquivalenten Vorleistung dazu bringt, ihr diese seine Sache zu überlassen. Warum aber muss die Person irgendeine Vorleistung erbringen, um die zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse notwendige Sache in Besitz zu nehmen? Diese Vorleistung dürfte in der Mehrzahl der Fälle in keiner wie auch immer gearteten Beziehung zum Bedürfnis stehen.

Auch sein Gegenüber gerät in eine merkwürdige Lage: Statt einfach die Bedürfnisse der Person wunsch- und sachgerecht zu befriedigen, muss er sich eine Gegenleistung der Person überlegen und die vereinbarte Vorleistung einfordern, von der keineswegs sicher ist, dass er sie gerade in diesem Moment brauchen kann. Ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass das Gegenüber einfach nur auf menschliche Weise wünscht, der Person, ihrem Mitmenschen, bei deren Bedürfnisbefriedigung zu unterstützen und umgekehrt stolz herzeigen zu können, wozu er selbst mit seinen Fähigkeiten imstande ist?

Wird ein Tauschhandel über das Tauschmittel Geld realisiert, verschiebt Geld die Realisierung der Gegenleistung auf einen späteren (und das Gegenüber möglicherweise günstigeren) Zeitpunkt, setzt aber zugleich den Gelderwerb der Person mit einem Bedürfnis zu einem Zeitpunkt vor Entstehen des Bedürfnisses voraus. (Das Bedürfnis muss also auch noch antizipiert werden!) Zwischen dem Gelderwerb (bzw. der Lohnauszahlung) und der Umsetzung des im Geld-vermittelten Tauschhandel den Besitzer wechselnden Geldes vergeht einige Zeit, soweit man das beurteilen kann, da Geldbeträge innerhalb von Geldvermögen ununterscheidbar sind. Als Anhaltspunkt dient der Vermögensbestand. Je nach Anlageart des Vermögens hat dieses Geld verschiedene Eigenschaften im Hinblick auf den Vernetzungsgrad mit anderen Vermögen. Es kann isoliert unter dem Kopfkissen liegen und seinem Besitzer ein Gefühl der Sicherheit vermitteln. Es kann bei der Bank im Safe für alle Beteiligten nutzlos oder auf einem Girokonto zum ausschließlichen Nutzen der Bank deponiert sein. Es kann an der Börse selbst zur Ware werden, sodass es der Bank und ihrem Kunden nutzt (und für irgend jemanden einen Preis darstellt). Virtuelle Vermögen werden geschaffen und virtuelle Schuldenberge aufgehäuft (denen manchmal der Steuerzahler mehr oder minder reales Geld, etwa im Sinne von Schuldverschreibungen bei den zu rettenden Banken, hinterherwirft). Ohne jeden persönlichen Einfluss ändern sich in dieser Zeit auch die fremdbestimmten Preise aller Waren, selbst der Waren des täglichen Bedarfs. Trotzdem gehen alle davon aus, dass dieses Wirtschaftssystem auf der Basis momentan fairer Preise zu einem gerechten Austausch zwischen allen weltweit daran Beteiligten führt, so dass alle Bedürfnisse befriedigt und alle Allokationen sachgerecht verteilt werden. Um zu zeigen, wie falsch diese Annahme ist, sei auf Tamagotchis verwiesen, diese sinnlosen und überflüssigen eHaustiere, nach denen nicht der geringste Bedarf bestand, nach denen herstellerseits durch massiven Einsatz von Public Relations-Maßnahmen weltweit ein Bedarf geschaffen wurde und für deren Herstellung dementsprechend Fabriken gebaut und Ressourcen verschwendet werden mussten. Werner Rätz klärt über die Hintergründe auf: "Alles, was [im Kapitalismus] produziert wird, wird zu dem einzigen Zweck produziert, es zu verkaufen. Wer also über Geld verfügt, überlegt sich, ob die Chancen gut stehen, dieses oder jenes Produkt herzustellen und auf dem Markt zu verkaufen. Wenn dies gelingt, hat er hinterher mehr Geld, und dies ist die einzige Motivation, warum im Kapitalismus überhaupt etwas produziert wird. Niemand produziert jede Menge Autos, weil er jede Menge Autos braucht." In anderen Worten: Aufgrund der Universalität des Geldes, geht jede Marktinitiative nicht von menschlichen Bedürfnissen aus, sondern von strukturellen Potenzialen zur Ansammlung des Vorleistungstauschmittels Geld!

Die Frage ist: Warum wünschen sich die Menschen einen "fairen Preis" oder einen "gerechten Tausch", obwohl sie wissen (sollten), dass das kapitalistische Wirtschaftssystem insgesamt weder fair noch gerecht ist? Außerdem kann man faire Preise und gerechte Tauschhandel für Produkte einer illusionären Einbildungskraft halten: Preise können gar nicht "fair" sein, weil a) per se nicht selbstbestimmt sein können und b) aufgrund der Preisfindung über das gesamte Geldsystem externe Faktoren berücksichtigen müssen – und zwar unbeabsichtigt und ungewichtet. Kein Tausch wiederum kann gerecht abgewickelt werden, weil nur die aktuell Tauschenden einander berücksichtigen, nicht aber ihre Zulieferer, nicht die gesellschaftliche Infrastruktur, die sie wie selbstverständlich in Anspruch nehmen. Als Maximum kann man sich den fairen Tausch vorstellen, einen Tausch zwischen gleichberechtigt auf Augenhöhe Verhandelnden. Auf einem fairen Tausch kann man aber kein Wirtschaftssystem begründen, zumindest nicht, wenn man daran den Anspruch hat, dass es gerecht zu sein habe.

Indem man das Geld abschafft und sich vom "Do ut des"-Prinzip löst, kann man ein gerechtes Wirtschaftssystem konstituieren, dem die Befriedigung von Bedürfnissen und die Allokation der Ressourcen unmittelbare Ziele sind. Als anschauliche Erklärung erweist sich das kommunistische Motto:

Jeder nach seinen Fähigkeiten, einem jeden nach seinen Bedürfnissen.

Aus Sicht des "Do ut des"-Diskurses ist der wichtigste Bestandteil dieses Satzes nämlich das unscheinbare Komma zwischen den beiden Halbsätzen! Es verdeutlicht anschaulich, dass zwischen den Fähigkeiten (dem Angebot) und den Bedürfnissen (der Nachfrage) kein mathematischer Zusammenhang hergestellt werden kann – schon gar kein proportionaler! Das gilt sowohl für eigene Bedürfnisse und Fertigkeiten als auch für die beim Austausch gegenüberstehenden Bedürfnisse und Fertigkeiten verschiedener Menschen. Es gilt aus Sicht des einzelnen Menschen und es schließt erst recht einen von oben herab bestimmten Maßstab wie den der Preise aus.

In der resultierenden Schenkökonomie muss natürlich kein Wirtschaftskreislauf geschlossen werden wie in einer Geld-vermittelten Tauschwirtschaft wie dem Kapitalismus, weil der gesellschaftliche Reichtum nicht in getrennte Ströme von Kaufkraft und Waren gesplittet wird. Nichtsdestotrotz müssen die Wirtschaftsströme in hinreichenden Quantitäten hin zu den Bedürfnissen geleitet werden. Doch warum sollte man annehmen, dass dem Laissez-faire der Zulassung zigfachen Über-Eck-Tauschens im Geld-vermittelten Kapitalismus mehr zu trauen wäre als der auf unbestimmte Zeit hinausgeschobenen Frist zur "Bezahlung" in Form einer wie auch immer gearteten Gegengabe von Menschen, mit denen man zuvor nie getauscht hat?!

Eine wunderbare Realisierung der Zurückdrängung des "Do ut des"-Prinzips ist das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) . Das Grundrecht auf soziokulturelle Teilhabe wird verwirklicht durch eine monatliche Zahlung von nach heutiger Kaufkraft rund 1500 Euro, die nicht an eine Gegenleistung geknüpft ist. Teile davon können in Form von Naturalien geleistet werden, etwa durch einen kostenlos nutzbaren Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Das "Netzwerk Grundeinkommen", dem auch Linkswärts e. V. angehört, hat vier Kriterien für das Grundeinkommen definiert:

  1. Das BGE wird individuell garantiert.
  2. Das BGE ist existenzsichernd und ermöglicht Teilhabe.
  3. Das BGE kommt ohne Bedürftigkeitsprüfung aus
  4. und ist nicht mit einem Arbeitszwang verbunden!

Mit dem letzten Punkt wird die Freiheit garantiert, die dem Menschen letztlich eine echte Eigenverantwortung für ein allgemeines gesellschaftliches Engagement eröffnet, mit wirtschaftlichen und demokratischen Schwerpunkten, von denen Letzterer (wieder) ein eigenes Zeitpensum in Anspruch nehmen muss. Nicht umsonst sieht die attac AG "Genug für alle" im Zusammenhang mit dem Grundeinkommen daher nicht nur eine Forderung nach Arbeitszeitverkürzung als notwendig, sondern auch eine inhärente Tendenz in diese Richtung als gegeben an. Katja Kipping spricht, diese Tendenz antizipierend, vom Grundeinkommen gerne als Demokratiepauschale. Auch den wirtschaftlichen Schwerpunkt kann man betonen, indem man vom garantierten Grundumsatz der Wirtschaft spricht. Auf Ebene der Wirtschaftssubjekte wird der Grundumsatz natürlich weiterhin unter Anwendung des "Do ut des"-Prinzips abgewickelt, soweit das Grundeinkommen in Form von Geld ausgezahlt wird. Zwischen Gesellschaft und Individuen aber ist das "Do ut des"-Prinzip insoweit ausgeschaltet, als das Grundeinkommen bedingungslos ausgezahlt wird.

Es wird (mir) gegeben werden, und auch ich gebe nach Kräften.

Mihi dabitur pro viribusque do.

Manfred Bartl (Fragen, Anmerkungen et Lateinkorrekturen an sozial[at]gmail.com)

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