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Materialien über volkswirtschaftliche Zusammenhänge

In dieser Kategorie stellen wir Materialien von Volkswirtschaftlern und Nationalökonomen zur Verfügung, die globale oder nationale wirtschaftliche Zusammenhänge erläutern.


Die Bewertung individueller Produktivität von der Putzfrau zum Top-Manager und in der globalisierten Weltwirtschaft

Mindestlohn und Maximalgehalt

von Heiner Flassbeck
Director der Division on Globalization and Development Strategies der UNCTAD, Genf

Beitrag aus WuM, Januar 2008, zitiert nach den NachDenkSeiten mit freundlicher Genehmigung von Heiner Flassbeck

Zurzeit findet in Deutschland eine äußerst interessante Debatte statt, bei der es offenbar um zwei Seiten der gleichen Medaille geht. Auf der einen Seite wird heftig diskutiert, ob sich Deutschland einen Mindestlohn leisten kann, auf der anderen stehen die nach Meinung der meisten Beobachter weit überzogenen Gehälter vieler Vorstandsmitglieder in der öffentlichen Kritik.

Merkwürdig hilflos sind in dieser Diskussion wieder einmal die deutschen Ökonomen. Während die Mehrheit beim Mindestlohn die traditionelle Ablehnungsfront noch nicht verlassen hat, weil man ja weiter fest daran glaubt, dass der Mindestlohn Arbeitsplätze kostet, tun sie sich bei den Spitzengehältern viel schwerer. Da hilft in der Regel nur das Argument, die Eigentümer könnten schließlich über die Löhne ihrer Angestellten entscheiden, wie sie wollen. Aber wenn es einen Markt gibt, der alles gut regelt, dann müsste der Markt doch immer richtig liegen, ganz gleich, um welche Entlohnung es geht, und dann müsste man nicht bei den Managergehältern die Entscheidungsfreiheit der Eigentümer bemühen?

Auf die herrschende Lehre vom Mindestlohn bin ich hier schon einige Male eingegangen, und will sie nur kurz nochmals darstellen. Man glaubt in Ökonomenkreisen überwiegend an die so genannte Grenzproduktivität der Löhne, wonach der Lohn der Arbeitnehmer sich im Grunde immer danach bestimmt, wie viel sie an der "Grenze", also sozusagen in der letzten Stunde ihrer Arbeitszeit zum Gesamtergebnis beitragen. Das bedeutet, dass der Unternehmer sie nur genau so lange beschäftigt, bis die Arbeitsleistung pro Stunde unter den ausgezahlten Lohn fällt.

Das aber gibt es in der marktwirtschaftlichen Wirklichkeit nicht, weil sich niemand die - unglaublich große - Mühe macht, sie in komplexen Produktionsprozessen für jeden einzelnen Arbeitnehmer oder auch nur für jede einzelne Qualifikation auszurechnen. In rein standardisierten Abläufen wie am Fließband, mag man noch eine gewisse Ahnung davon haben, wie viel jeder Beschäftigte zum Gesamtergebnis beiträgt, bei jedem komplexeren Ablauf, wo Teams zusammenarbeiten, gibt es so etwas wie individualisierte Produktivität nicht.

Weil es das im einzelnen Betrieb nicht gibt, kann es das auch gesamtwirtschaftlich nicht geben, denn die Information über den richtigen Lohn könnte sich, wenn sie existierte, ja nur aus vielen Einzelinformationen der Betriebe speisen. Folglich zahlen die Betriebe einen marktüblichen Lohn, dessen Höhe sich einzig und allein aus der Tatsache ergibt, dass eine bestimmte Qualifikation am Markt besonders knapp, also besonders gefragt ist, und dass sich das über die Jahre in den Tarifverträgen niedergeschlagen hat. Alles andere ist Ausdruck von Marktmacht oder Zufall.

Das Gleiche gilt für die hohen Gehälter. Auch hier gibt es keine geheimnisvolle Kraft oder höhere Philosophie, die für das richtige Salär sorgt, sondern der Aufsichtsrat in der Aktiengesellschaft entscheidet für die Eigentümer anhand der Gewinnsituation, was man sich leisten kann und will. Dass man dabei heute – im Verhältnis zu dem Lohn des durchschnittlichen Angestellten - viel höher greift als noch vor zwanzig Jahren, hat sicher nichts mit gestiegener Knappheit der deutschen Manager zu tun, sondern vor allem mit der wiederum von der Zunft der Ökonomen verbreiteten Wahnvorstellung, man habe es im Zeitalter der Globalisierung mit einem ganz neuen Kapitalismus zu tun, bei dem sich die Kapitalseite alles leisten kann, der Arbeiter aber nichts.

Diese Wahnvorstellung ist von der deutschen Politik in Wort und Tat bis zuletzt massiv unterstützt worden. Was ist nicht alles über die Leistungsbereitschaft unserer Eliten schwadroniert worden und wie viele Steuersenkungen hat es in den letzten Jahren gegeben, die nichts anderes im Sinn hatten, als diese ominöse Leistungsbereitschaft zu fördern. Wenn aber selbst der Staat und zudem unter sozialdemokratischer Führung den Eindruck verbreitet, die "Eliten" würden in zu geringem Maße entlohnt, oder erhielten zu geringe Anreize, warum sollte sich da in einer guten konjunkturellen Situation irgendjemand zurückhalten?

Was man bei all dem Geschwätz über den Aufstieg der Eliten auf der einen Seite und den Abstieg der gering Qualifizierten auf der anderen Seite vollkommen aus dem Auge verliert, ist die einfache Erkenntnis, dass in einer Gesellschaft, deren Erfolg auf Arbeitsteilung beruht, alle Arbeitenden in einer Weise an dem Ergebnis der Arbeitsteilung teilhaben müssen, die ihnen ein vernünftiges Leben ohne staatliche Hilfe ermöglicht. Verbessert sich das Ergebnis der arbeitsteiligen Gesellschaft fortlaufend, was man an der ständig steigenden Produktivität erkennen kann, müssen alle in gleicher Weise an diesem Produktivitätsfortschritt beteiligt werden, will man die Arbeitsteilung nicht fundamental in Frage stellen. Können die Gewerkschaften das nicht mehr sicherstellen, muss ein sich an die Produktivität anpassender Mindestlohn her.

Sind alle Arbeitnehmer (übrigens auch die, die beim Staat und in sonstigen nicht direkt unternehmerischen Einrichtungen arbeiten) in dieser Weise am Fortschritt beteiligt, bleibt ein Gewinn für die Unternehmen und deren Anteilseigner übrig, der zeitweise über die Entlohnung entsprechend der Produktivität hinausgehen kann. Wollen die Kapitaleigentümer diesen risikobehafteten Gewinn mit ihren Managern teilen, ist dagegen nichts zu sagen.

Der Skandal sind nicht solche Prämien, sondern die Tatsache, dass in Deutschland seit mehr als einem Jahrzehnt die Mehrheit der Arbeitnehmer nicht nur nicht mehr am Produktivitätsfortschritt beteiligt wurde, sondern einige Gruppen sogar absolut zurückgefallen sind. Ein noch größerer Skandal ist freilich, dass der Staat, statt der Ungleichheit entgegenzuwirken, sie mit seiner Steuerpolitik gefördert hat. Es ist heuchlerisch, wenn diejenigen, die sich gegenseitig überboten haben im Senken des Spitzensteuersatzes, jetzt beklagen, dass die von ihnen über all die Jahre gehätschelten "Leistungsträger" sich auch ohne Staat ordentlich einen einschenken.

Was unsere Arbeit wirklich wert ist

Heiner Flassbeck zum Tarifkonflikt im Öffentlichen Dienst
von Heiner Flassbeck

Director der Division on Globalization and Development Strategies der UNCTAD, Genf

Beitrag aus dem "Rheinischen Merkur" vom 31.01.2008, zitiert nach den NachDenkSeiten mit freundlicher Genehmigung von Heiner Flassbeck

Wenn die Tarifrunde der öffentlichen Dienstes in den nächsten Wochen in die heiße Phase gerät und eine durch die letzten Landtagswahlen gestärkte SPD lauter nach einem Mindestlohn ruft, wird sich wieder die alte Frage stellen, was Arbeit eigentlich wert ist. Auf diese für unsere Wirtschaft fundamentale Frage hat die herrschende Lehre von der Ökonomie leider nur eine sehr unbefriedigende Antwort gegeben. Man sagt, Arbeit sei genau so viel wert, wie der letzte eingesetzte Arbeiter produziert. Der Lohn pro Stunde müsse in einem funktionierenden Markt immer der Produktivität pro Stunde entsprechen. Sei er höher, sei Arbeitslosigkeit unvermeidlich. Für den öffentlichen Dienst und viele andere Menschen, die in Dienstleistungsberufen arbeiten, ist das eine frustrierende Vorstellung.

Erstens nämlich kann man die Produktivität von Arbeitnehmern im öffentlichen Dienst und in Dienstleistungsberufen nicht wie die eines Arbeiters am Fließband messen und zweitens erhöht sich ihre individuelle Produktivität oft überhaupt nicht, weil sie einer Tätigkeit nachgehen, die sich nicht so einfach rationalisieren lässt. Nehmen wir einen Lehrer in der Schule. Wenn der 40 Jahre lang einen ordentlichen elementaren aber kaum veränderten Unterricht hinlegt, auf dem die Schüler erfolgreich aufbauen können, hat sich die Produktivität des Lehrenden scheinbar überhaupt nicht verändert: Jedes Jahr "produziert" er 30 oder 40 erfolgreiche Schulabgänger, mehr nicht. Sollte der Lehrer immer das Gleiche verdienen, also niemals eine Gehaltserhöhung erhalten?

Wohl kaum. In einer wachsenden Gesellschaft, in der die Produktivität insgesamt steigt, weil die Schüler unseres Pädagogen neue Techniken erfinden und neue Produkte auf den Markt bringen, die es der Wirtschaft erlauben, mit der gleichen Menge Arbeit mehr Produkte zu erzeugen, muss es einen Weg geben, auch die individuell wenig produktiveren Hilfskräfte an dem gesamten Produktivitätszuwachs teilhaben lassen. Wäre das nicht der Fall, gäbe es in diesem für den Gesamterfolg so wichtigen elementaren Bildungsbereich keine Arbeitskräfte mehr, weil man dort relativ verarmen und früher oder später abwandern würde.

Folglich müssen diejenigen, die mit ihrer Produktivität an der Spitze der Lohnskala stehen, denjenigen, die weniger produktiv aber unabdingbar für den Gesamterfolg sind, am Erfolg beteiligen. Das geschieht bei erfolgreicher Arbeitsteilung dadurch, dass auch der öffentliche Dienst und die Friseure einen Ausgleich für die von der Gesellschaft akzeptierte Inflationsrate erhalten und sich zusätzlich auch den insgesamt erzielten Produktivitätsfortschritt zu gute halten können. Die individuelle Produktivität ist eine Fiktion, die in einer auf Arbeitsteilung beruhenden Wirtschaftsweise keinen Platz hat. Übrigens, nur dann, wenn diese Regel systematisch durchgesetzt wird, finden auch die Produkte, die die hochproduktiven Bereiche erzeugen, genügend zahlungskräftige Abnehmer.

Arbeitsteilung

Mein Dank geht an Heiner Flassbeck für die Überlassung dieser grundlegenden Weisheiten, die nichtsdestotrotz in der alltäglichen Diskussion völlig vergessen scheinen. Es hat mich sehr gefreut, die Aussagen, die ich selbst vielfach in volkswirtschaftlichen Diskussionen vorbrachte, aus berufenem Mund so exakt bestätigt zu finden:

In einer Gesellschaft, deren Erfolg auf Arbeitsteilung beruht, müssen alle Arbeitenden in einer Weise an dem Ergebnis der Arbeitsteilung teilhaben, die ihnen ein vernünftiges Leben ohne staatliche Hilfe ermöglicht. Verbessert sich das Ergebnis der arbeitsteiligen Gesellschaft fortlaufend, was man an der ständig steigenden Produktivität erkennen kann, müssen alle in gleicher Weise an diesem Produktivitätsfortschritt beteiligt werden, will man die Arbeitsteilung nicht fundamental in Frage stellen.

Die individuelle Produktivität ist eine Fiktion, die in einer auf Arbeitsteilung beruhenden Wirtschaftsweise keinen Platz hat.

Beim oft geäußerten Anspruch neoliberaler Wirtschaftspolitik an eine globale, umfassend arbeitsteilige Wirtschaftswelt höre ich deutlich die Einstandsgemeinschaft im Sinne der Auslegung durch die ARGE im Rechtsbereich SGB II heraus. Welchen Sinn sollte eine Arbeitsteilung wie die, dass T-Shirts in Indien, Autos in Japan, High-Tech-Maschinen in Deutschland, Weizen in den USA oder Wolle in Australien hergestellt werden, haben, wenn nicht den, mit der umfassenden volkswirtschaftlichen Spezialisierung den Wohlstand für alle zu steigern? Andernfalls werden alle Volkswirtschaften nur bestrebt sein, High-Tech-Maschinen zu bauen, wenn man just damit maximalen Gewinn erwirtschaften kann. In einer Welt, die in verschiedene, mit Prozessspezialisierungen korrelierende Produktivitätssphären aufgeteilt wird, werden die Regionen jedoch unweigerlich zur Aufwertung ihrer jeweiligen Spezialisierung angetrieben, also dazu, die Spezialisierung wieder aufzuheben. Umgekehrt werden individuelle Spezialisierungen, die mit der regionalen Spezialisierung nichts zu tun haben, umfassend entwertet. Dies trifft besonders für Dienstleistungen in allen Regionen der Welt zu! Es gibt kein Land und wird nie eines geben, in dem ausnahmslos alle Erwerbspersonen Friseure sind oder Altenpfleger oder Lehrer.

Manfred Bartl